Tarawih trotz Ausgangssperre

Ein Informationsschreiben an alle religiösen Gemeinden der StädteRegion Aachen

Guten Abend und Selamun Aleykum liebe Geschwister,

aufgrund der am 22.04. entschiedenen und am 24.04.2021 in Kraft getretenen Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes haben wir uns entschieden ein Informationsschreiben mit euch zu teilen.

Wie Ihr bereits wisst wurde am 22.04.2021 das „vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (sog. “Corona-Notbremse”) vom Bundestag beschlossen. Mit diesem Gesetz wurde das Infektionsschutzgesetz um § 28b und § 28c erweitert. § 28b sieht unter anderem vor, dass in Landkreisen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 eine nächtliche Ausgangssperre (22:00 Uhr – 5:00 Uhr) gilt.

Aufgrund der o.g. Sachlage haben wir uns als Gemeinde die Frage gestellt, ob und inwiefern die nächtlichen Gebete (Tarawih und Ishaa) verrichtet werden können.

Freitag, der 23.04.2021

Nach einer medialen Recherche konnten wir leider keine offizielle und klare Antwort zu unserer Frage erhalten. Der nächste Schritt war es, dass wir das örtliche Ordnungsamt, die örtliche Polizei, die Gesundheitsämter, die Corona Hotlines, etc. telefonisch um Informationen gebeten haben. Jedoch konnten wir ebenfalls aus diesen Quellen nur die Aufforderung erhalten, dass entweder die Behörden selbst mit unserer Frage überfordert waren, wir andere Behörden um Informationen bitten sollten oder uns darauf verwiesen haben eine eigene Recherche zu betreiben. Einzig das Bürgertelefon der StädteRegion Aachen hat uns eine klare Antwort gegeben. Es wurde uns mitgeteilt, dass die Religionsausübung weiterhin erlaubt ist und wir es unter der Webseite nachlesen können, wobei auf folgenden Sachverhalt aufmerksam gemacht wurde:

Die Versammlungsfreiheit (Demonstrationsrecht) und Versammlungen die der Religionsausübung dienen, fallen nicht unter die Kontaktbeschränkungen.

Pressemitteilung der StädteRegion Aachen zum Corona-Virus [1]

Aufgrund eines Sterbefalls in der Gemeinde (Möge Allah Ihrer Seele gnädig und barmherzig sein) konnten wir für den restlichen Nachmittag keine weiterführenden Recherchen durchführen. In der Zwischenzeit haben wir trotzdem nachgefragt, welche Tätigkeiten die anderen Gemeinden in der StädteRegion Aachen durchführen.

Samstag, der 24.04.2021:

Entgegen der o.g. Information des Bürgertelefons der StädteRegion Aachen, haben uns von anderen Gemeinden die Nachricht erreicht, dass die StädteRegion Aachen ein Schreiben an die religiösen Gemeinschaften und Migrantenorganisationen sowie die Integrationsräte in der StädteRegion Aachen verfasst hat. In dem Schreiben wurde die Aussage getätigt, dass religiöse Feiern im Gesetzestext nicht erwähnt werden und somit während der nächtlichen Ausgangssperre nicht als Ausnahmegrund gelten. Man müsse also nach einer religiösen Feier pünktlich um 22 Uhr zuhause sein. Zudem haben uns Ankündigungen der Gemeinden erreicht, welche aufgrund der nächtlichen Ausgangssperren keine Gebete verrichten werden.

Dies hat auf unserer Seite eine Menge Fragen aufgeworfen, die geklärt werden mussten. Dabei konnten die offiziellen Stellen uns nicht weiterhelfen. Daher haben wir uns entschieden die Gesetzestexte eigenverantwortlich durchzugehen.

Zuallererst haben wir uns nochmal unsere Grundrechte im Grundgesetz angeschaut, wobei folgende Rechte dargestellt werden:

Art. 4. Abs. 2: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Art. 19. Abs. 1: „Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.“

Grundgesetz

Mit dem „vierte[n] Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 22.04.2021, welche das Bundestag beschlossen hat, wurde das Infektionsschutzgesetz um § 28b erweitert.

Unter Absatz 1 Satz 2 wird mit folgender Erwähnung eine nächtliche Ausgangssperre verordnet:

der Aufenthalt von Personen außerhalb einer Wohnung oder einer Unterkunft und dem jeweils dazugehörigen befriedeten Besitztum ist von 22 Uhr bis 5 Uhr des Folgetages untersagt; dies gilt nicht für Aufenthalte, die folgenden Zwecken dienen: […]

viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite [2]

Im weiter folgenden Absatz 4 des § 28b wird folgende Ausnahme geschildert:

Versammlungen im Sinne des Artikels 8 des Grundgesetzes sowie Zusammenkünfte, die der Religionsausübung im Sinne des Artikels 4 des Grundgesetzes dienen, unterfallen nicht den Beschränkungen nach Absatz 1.

viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite [2]

Weiterfolgende Recherchen haben uns zu einem „Fragen und Antworten“ Artikel des Bundesgesundheitsministeriums geführt. Zu der Frage „Bleiben die Kirchen offen?“ wurde folgende Antwort genannt:

Zusammenkünfte, die der Religionsausübung (im Sinne des Artikels 4 des Grundgesetzes) dienen, sind weiterhin erlaubt. Die Länder können aber auch für diese Bereiche Schutzmaßnahmen vorsehen.

FAQ des Bundesgesundheitsministeriums [3]

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen beschreibt in der „Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO)“ vom 23. April 2021 unter §1 Absatz 3 die vom Bundesgesundheitsministerium genannten Schutzmaßnahmen wie folgt:

[…] Sie sichern die Einhaltung des Mindestabstands, begrenzen die Teilnehmerzahl, führen ein Anmeldeerfordernis für solche Zusammenkünfte ein, bei denen Besucherzahlen zu erwarten sind, die zu einer Auslastung der Kapazitäten führen könnten, verpflichten die Teilnehmer zum Tragen einer medizinischen Maske nach § 3 Absatz 1 Satz 2 auch am Sitzplatz, erfassen die Kontaktdaten der Teilnehmer und verzichten auf Gemeindegesang. Die vorgelegten dementsprechenden Regelungen der Kirchen und Religionsgemeinschaften treten für den grundrechtlich geschützten Bereich der Religionsausübung an die Stelle der Regelungen dieser Verordnung. […]

Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) [4]

Wie schon erwähnt wird in der Pressemitteilung der StädteRegion Aachen zum Corona-Virus vom 23. April 2021, 11:45 Uhr folgende Aussage getroffen:

[…] Zentrale Regelungen bei einer 7-Tages Inzidenz von mehr als 100 sind: […] Die Versammlungsfreiheit (Demonstrationsrecht) und Versammlungen die der Religionsausübung dienen, fallen nicht unter die Kontaktbeschränkungen.

Pressemitteilung der StädteRegion Aachen zum Corona-Virus [1]

Zu der Aussage, dass für nächtliche Ausgangssperren Ausnahmen gelten und religiöse Feiern im Gesetzestext nicht erwähnt werden – also somit nicht als Ausnahme gelten – möchten wir mitteilen, dass religiöse Feiern explizit durch die Erwähnung des Paragraphen im Grundgesetz (siehe Artikel 19 Absatz 1 GG) eingeschränkt werden müssen.

Es kann von den o.g. Gesetzestexten entnommen werden, dass das Grundgesetz, daraufhin das Infektionsschutzgesetz, daraufhin das Bundesgesundheitsministerium, daraufhin das Land NRW und abschließend die StädteRegion Aachen alle eine Ausnahmeregelung für religiöse Ausübungen zulassen. Somit ist das Schreiben zu den religiösen Gemeinschaften der StädteRegion Aachen unzutreffend und hat zu einer Verwirrung in den muslimischen Gemeinden geführt.

Aufgrund der Tatsache, dass wir keine Bestätigung bekommen haben und somit der Gemeinde keinen monetären Schaden zufügen wollten, haben wir trotz der Rechtsgrundlage die Gemeinschaftsgebete bis einschließlich Sonntag, den 25.04.2021 pausiert.

Sonntag, der 25.04.2021

Um die Lage zu klären wurde eine ausführliche Antwort zum Schreiben vom 23.04.2021 der StädteRegion Aachen, welches an die religiösen Gemeinschaften ging, verfasst. Die Rechtslage wurde ausführlich dargelegt, wobei unsererseits letztendlich die Bitte geäußert wurde zu nennen auf welchen konkreten Regelungen und Gesetzen das Schreiben sich beruft oder das Schreiben zu berichtigen.

Montag, der 26.04.2021

Die StädteRegion Aachen hat auf unser Schreiben geantwortet mit ungefährer Aussage:
wir müssen uns mit den Ordnungsämtern, der Bundes- und Landespolizei absprechen, damit niemand eine Strafe erhält. Eine Lösung wird zeitnah mitgeteilt.

Demnach haben wir nochmals mit dem städtischen Ordnungsamt telefoniert, welches bestätigte, dass die Religionsausübung als eine Ausnahme vom Bundesinfektionsschutzgesetz deklariert wird. Es wurde uns empfohlen ein Teilnahmebescheinigung mit Ziel- und Heimatadresse, sowie Name der teilnehmenden Person aufzusetzen, um bei den Beamten eine Nachvollziehbarkeit zu erzielen, falls Teilnehmer von der Polizei während der Fahrt aufgegriffen werden.

Abschließend wurden Teilnahmebescheinigungen erstellt und bei den Teilnehmern der nächtlichen Gemeinschaftsgebete verteilt. Seit Montag-Abend werden Elhamdulillah die nächtlichen Gemeinschaftsgebete weiter fortgeführt.

Die StädteRegion Aachen hat bezüglich der Sachlage bis zum 29.04.2021, 15:30 Uhr noch keine schriftliche Lösung mitgeteilt.

Des Weiteren werden bundesweit Klagen bezüglich des erweiterten Infektionsschutzgesetzes erhoben, welche bestimmte Grundrechte, die Verfassungsmäßig verankert sind einschränken oder aushebeln (bspw. Art. 2 Abs. 1 GG). [5]

Außerdem möchten wir erwähnen, dass deutschlandweit und im speziellen im Bundesland Bayern trotz der im Infektionsschutzgesetz genannten Ausnahme der Religionsausübung, einige Kommunen die Religionsausübung nach 22 Uhr verbieten. Einige Dachverbände haben hierzu in unterschiedlichen Instanzen und Regionen eine Klage eingereicht, da die Verbietung der Religionsausübung unter diesen Umständen verfassungswidrig ist.

Wir möchten zu diesem Anlass die religiösen Gemeinschaften im Allgemeinen und die muslimischen Gemeinden im Speziellen darum Bitten in diesen schwierigen Tagen gemeinsame Schritte zu gehen. Unter den derzeitigen Umständen war ausschließlich unsere örtliche Lage der Grund dafür, dass wir noch unsere Gemeinschaftsgebete verrichten können. Eine andere Kommune hätte uns Verfassungs- und Gesetzeswidrig die Ausübung der Religion verbieten können, wobei einzelne Gemeinden unter Umständen monetär nicht in der Lage wären rechtliche Wege einzuleiten, um ihre Grundrechte zu verteidigen. Dahingehend ist ebenfalls der öffentlich-mediale Weg für vereinzelte Gemeinden nur eingeschränkt erfolgreich, da die Stimme meistens nicht weit über die eigenen Gemeindemitglieder hinaus hörbar ist. Eine gemeinsame Verbreitung derartiger Fälle würde zu einer größeren Medialen Aufmerksamkeit führen, wodurch die Wahrscheinlichkeit der Wiedererlangung der Rechte erhöht wird. Hierbei geht es nicht um die Meinung, ob man als Gemeinde die nächtlichen Gemeinschaftsgebete verrichten möchte oder nicht. Eher geht es um die Freiheit als Gemeinde selbst zu entscheiden, welche Regelungen getroffen werden sollten.

Daher möchten wir, als Suffa Gemeinde unsere Hand anbieten, für Gemeinden und Einzelpersonen, die in der aktuellen Lage gemeinsame Schritte gehen wollen. Außerdem können wir im Bezug zu der nächtlichen Ausgangssperre und der Regelung der Religionsausübung unsere Hilfe anbieten, natürlich soweit unsere Kapazitäten und unser Wissen ausreicht.

Ihr könnt uns unter der E-Mail Adresse info@suffa.ac erreichen.

Letztendlich möchten wir erwähnen, dass die oben genannte Rechtsgrundlage von keinem Experten oder Anwalt besichtigt wurde und lediglich unser Verständnis darlegt. Wobei dieses Verständnis von unterschiedlichen Quellen bestätigt wurde.

Möge Allah uns rechtschaffene Taten vollziehen lassen, die speziell im Monat Ramadan seine Barmherzigkeit anziehen. Möge Allah uns in dieser schwierigen Situation helfen…

Wir wünschen euch und euren Familien gute und erholsame Frühlingstage und den Muslimen eine gesegnete Zeit in der letzten Hälfte des Monats Ramadan.

Suffa Gemeinde


Quellen

[1] https://www.staedteregion-aachen.de/de/navigation/aemter/oeffentlichkeitsarbeit-s-13/aktuelles/pressemitteilungen/aktuelle-pressemitteilungen/coronavirus

[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/
fileadmin/Dateien/3_Downloads/
Gesetze_und_Verordnungen/GuV/B/
4_BevSchG_BGBL.pdf

[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/
gesetze-und-verordnungen/guv-19-lp/4-bevschg-faq.html

[4] https://www.land.nrw/sites/default/files/
asset/document/2021-04-23_coronaschvo_vom_23.04.2021.pdf

[5] https://youtu.be/nnzqWtPwRjo